Die harten Kritiker hatten im vergangen Jahr nur einen im Sinn: den Ferrari 458. Ein faszinierendes Fahrzeug, keine Frage. Das aber ist die Voraussetzung eines jeden Ferraris. McLaren spielen außerhalb der Gefühlslage. Sie kommen über die sachliche Schiene. Der rein professionelle Ansatz sozusagen. Das war auch der Grund, warum ich den McLaren von Anfang favorisierte. Er ist nicht nur verdammt schnell, sondern irgendwie auch praktisch und optisch weniger auffallend als die italienische Garde. Zwischen damals und heute hat sich etwas verändert. Der Schauplatz der Wandlung ist der McLaren Technologie-Tempel, dessen Design Sir Norman Foster ersann. Vielleicht sprang der Funke der emotionalen Intuition über. Denn der neue Spider reißt mit. Nicht in Bezug auf Zeit und Raum, sondern auch emotional. Der Wagen läuft einfach grandios, scheint übermächtig und allen Aufgaben gewachsen. Die Straße in Südspanien von Ronda nach Malaga ist kurvenreich, hügelig und ermöglicht dennoch hohes Tempo. Der MP4-12C Spider ist das neueste Modell - ein Roadster nach britischer Manier. Doch momentan - ehrlich gesagt - ist es mir gleich, ob das Dach offen oder geschlossen ist. Der Wagen an sich fasziniert. Spider und Coupé weisen ohnehin das gleiche Chassis, die gleiche Steifheit auf - keine Kompromisse.
Sobald der Motor oberhalb von 3.000 Touren dreht, ist Schub ein permanenter Zustand. Die Beschleunigung wirkt radikal - und kommt beinahe einer Neudefinition des Begriffs gleich. Den zweiten Gang auszudrehen, heißt einen satten Soundteppich auszurollen. Im dritten und vierten Gang geht es munter weiter. Nur im siebten Gang herrscht bei gleicher Geschwindigkeit Frieden. Doch dann läuft der Wagen rund 130 km/h bei gerade einmal 2.300 Touren. Eine interessante Geschwindigkeit. Schnell genug, um Ärger auf manch europäischen Autobahnen zu erzeugen und doch viel zu langsam für den McLaren - jedenfalls im siebten Gang. Man nimmt Kurven ohne vom Gas zu gehen und man wundert sich, warum alles um einen herum so langsam fährt. Der McLaren fährt einfach in einer anderen Dimension. 200 km/h erreicht der Spider aus dem Stand in neun Sekunden. Viele andere Fahrzeuge fahren da noch nicht einmal 100 km/h. Diese Marke erreicht der McLaren bereits knapp über drei Sekunden. Der aktuelle McLaren ist damit noch schneller als die erste Auflage. Hierfür ist ein Leistungsplus von 25 PS verantwortlich, welches nochmals aus dem flach bauenden 3,8-Liter V8 abgerungen wurde. Macht zusammen 625 PS. Übrigens: auch McLaren Besitzer der ersten Generation können dieses Upgrade nachträglich buchen.
Doch auch unser Testwagen hat noch Platz für Optionen geboten. Rund 50.000 Euro an Sonderausstattungen stecken hier drin. Viel Geld wanderte dabei in die Komponenten aus Carbon-Faser. Das gilt auch für das Auspuff-System. Eigentlich gehört dieses System als Standardausstattung an Bord - doch auch hier kann man noch investieren. Und sollte es. Denn die Klangkulisse ist es wert. Der Klang ist einfach furios. Nicht so durchdringend wie beim Ferrari 458, nicht so metallisch. Der Klang wirkt komplexer und klassischer - vielleicht so wie bei einem alten Cosworth DFV Formel 1 Aggregat, das unter Vollast läuft. Auch im Schubbetrieb entfaltet dieser Klangkörper seine Akustik. Der Spider wirkt dabei wie eine Bühne. Er klingt erwartungsgemäß direkter und deutlicher als das Coupé.
Noch eine schnelle Kurve. Ich bremse hart an. Die Carbon-Scheiben rauben den Speed sofort. Ich lenke ein. Die Fronträder scheinen unsichtbaren Schienen zu folgen, während die Hinterräder gerne zum Drift hinaus wollen. Die Kraft fließt nur so durch das Fahrzeug. Das Lenksystem ist so konstruiert, dass es beim Kurveneingang Untersteuern vermeidet. Die Räder führen die Nase dorthin, wohin der Fahrer sie haben möchte. Das bedeutet auch, dass man schnell wieder aufs Gas gehen kann. Und dabei spürt man diesen unbändigen Grip. Die Lenkung wirkt intuitiv und man ertappt sich selbst dabei, Kurven so anzufahren, wie man es sonst in einem anderen Fahrzeug kaum wagen würde. Der McLaren scheint die Fahrphysik auszuhebeln. Natürlich kann er das nicht wirklich. Später auf der Rundstrecke geht der Wagen in einen kontrollierten Drift über - schlicht, weil ich Kurven nun zu schnell anfahre. Ich muss vom Gas, fange den Wagen ein und drücke ihn mit Kraft wieder auf Kurs. Das gelingt mit Leichtigkeit und schenkt doch Nervenkitzel. Denn meine Fahrkünste liegen Meilen von den der Herren Button und Hamilton entfernt.
Bei allen Fahrmanövern hält das adaptive Dämpfersystem den MP4-12C in Zaum. Die Wank- und Neigungsbewegungen sind minimal. Im Normal-Modus wirkt der Spider überaus komfortabel. Sogar lässt sich der McLaren akustisch dezent bewegen. Wer hätte das gedacht. Erst "Sport" und "Track" entfaltet den Furor. In seiner aktuellen Auflage ist der MP4-12C überzeugend gut. Er taugt, um bekannte Fahrreviere in neuer Rekordzeit zu erobern. Er bringt Fahrerlebnisse, die auch erfahrene Sportwagenpiloten überraschen dürfte. Doch hier geht es insbesondere um den Spider. Oder - ganz banal - um die Frage: Spider - ja oder nein? Wie erwähnt, bleibt die Strukur aus Carbon-Faser unberührt. Das Dach ist in zwei Teilen gefertigt und öffnet elektro-hydraulich. Es faltet und staut sich in ein Tal hinter der Kabine. Mit geschlossenem Dach gibt es extra Gepäckraum und zwei faltbare Gepäcktaschen stehen zu Diensten. Öffnen und Schließen des Dachs dauert 17 Sekunden - das gelingt während der Fahrt bis zu einer Geschwindigkeit von rund 30 km/h. Dach zu und der Spider unterscheidet sich kaum vom Coupé. Nur das hintere seitliche Fenster ist deutlich kleiner, das Heck höher. Damit ist der Blick nach hinten etwas eingeschränkter als beim Coupé. Um es zu veranschaulichen: würde ein zweiter MP4-12C dicht folgen, würden sie ihn nicht wahrnehmen.
Das vertikale Heckfenster fährt um ein Drittel seiner Größe herunter, wenn das Dach geöffnet ist. Damit steht es genau in der Position, die wenig Turbulenzen ins Cockpit lässt. Trotzdem zerrt viel Luft an den Insassen. Viel mehr als in einem Ferrari 458 Spider. Wer auf Konversation bei höheren Geschwindigkeiten wert legt, muss schon schreien. Oder man senkt die Scheibe komplett herab und labt sich an dem Sound der Endrohre. Wer das Dach auflegt, fährt wie in einem Klangtunnel - für mich die beste Wahl. Insbesondere wenn man durch einen tatsächlichen Tunnel fährt und den Motor bis auf 7.500 Touren dreht.
Ist das Heckfenster oben und das Dach geschlossen, ist der Spider beinahe wie das Coupé. Die Windgeräusche sind nur minimal. Der Raum in der Kabine ist begrenzt. Mangels Türablagen und Handschuhfach sollte man nicht allzu viel Gepäck nicht mitführen. Man öffnet die Türen dafür nun mit versteckten Knöpfen, anstatt über einen unsichtbaren Sensor zu streifen. Das funktioniert zuverlässig, jedoch wünscht man sich ein quittierendes Klicken beim Schließen der Türe. Das Satellitennavigationssystem - eine Eigenkreation - könnte noch informativer sein. Verbesserungen sind bereits versprochen. Natürlich kauft man einen McLaren MP4-12C Spider nicht wegen seines Navigationssystems. Man kauft ihn, weil man eine Fahrmaschine erhält, die derzeit ihresgleichen sucht. Während das Coupé ab rund 216.000 Euro kostet, schlägt der Spider mit knapp 240.000 Euro zu Buche. Und dieser Aufschlag scheint in Anbetracht der Möglichkeiten gerechtfertigt. Ich würde den Spider wählen, wenn ich dürfte.
Text: John Simister
Fotos: McLaren