Erst 2003 ließ Audi die Vision vom „Baby-Lambo“ Wirklichkeit werden – in Form des Lamborghini Gallardo.
Vielleicht sind die Neunzigerjahre momentan noch zu nah, um ihre Ästhetik angemessen zu schätzen. Auch um den Lamborghini Cala ist es im Nachhinein – man muss es so deutlich aussprechen – nicht unbedingt schade. Zu klobig wirken die Formen, zu unschlüssig die Proportionen, zu aufdringlich die Spoiler und Lüftungsfurchen, um ihn posthum auf den Thron der verpassten Chancen zu heben. Fairerweise muss man jedoch bemerken, dass Lamborghini im Frühjahr 1995 auf wackeligen Beinen stand. Chrysler hatte der Manufaktur aus Sant’Agata erst wenige Monate zuvor den Laufpass gegeben und die Marke an das indonesische Unternehmen Megatech verkauft. Dass unter diesen Umständen in Genf ein fahrtüchtiger Prototyp enthüllt werden konnte, der bei ersten Probefahrten sogar positive Bewertungen durch die Presse erhielt, war in diesem Sinne ein Erfolg.
Als Grundlage für den Lamborghini Cala diente das Projekt P140, dass Anfang der Neunzigerjahre als Nachfolger des Lamborghini Jalpa bei Bertone entwickelt worden war. Der P140 sollte sich durch einen kompakten Zehnzylindermotor und ein heraustrennbares Targa-Dach von den großen Zwölfzylinder-Modellen unterscheiden, doch die Kosten für Entwicklung und Einführung des Lamborghini Diablo rückten das Projekt 1992 in den Hintergrund. Lamborghini schickte ein Erprobungsfahrzeug zu Italdesign Giugiaro nach Turin, um die Idee dennoch weiter zu entwickeln. War Bertones Karosserie noch stark an die Form des Diablo angelehnt, so kreierte Giorgetto Giugiaro einen neuen, eigenständigen Look. Auf Basis des Aluminiumchassis schuf Italdesign eine fast serientaugliche Karosserie, während Lamborghini einen V10-Mittelmotor mit 3,9 Litern Hubraum und 400 PS entwickelte. Das neue Triebwerk beschleunigte den Cala in fünf Sekunden auf Tempo 100, die Höchstgeschwindigkeit lag bei 290 km/h.
Mit seinen Fahrwerten kam der Lamborghini Cala in die Nähe seines potenziellen Rivalen, des Ferrari F355. Doch Lamborghini sah sich außerstande, die Kosten für die Serienproduktion des Targa-Coupés zu stemmen. Bis 1998 blieb der Cala als Projekt auf dem Tisch, dann übernahm Audi die italienische Sportwagenmarke – und schickte Giugiaros Entwurf ins Archiv. Die Idee vom „Baby-Lambo“ wurde jedoch auch unter der neuen Führung weiter entwickelt: Im Auftrag von Audi entwarf Giorgettos Sohn Fabrizio Giugiaro einen moderneren, kantigeren Mittelmotor-Sportwagen mit kompakten Dimensionen – den Gallardo. Bis zur Einführung im Jahr 2003 wurden vom neuen Lamborghini-Designchef Luc Donckerwolke jedoch noch zahlreiche Änderungen vorgenommen, weshalb das erfolgreiche V10-Modell auch bis heute nicht offiziell als Italdesign-Entwurf gewertet wird.
Fotos: Italdesign Giugiaro